Sonntag, 12. April 2015

Gelebte Yogaphilosophie - Ein Interview mit Romana Lorenz-Zapf vom Unit Yoga!

Das Yogasutra des Patanjali hat mir bereits viele glückliche Momente bescherrt. Immer wieder, wenn ich darin lese, entdecke ich wertvolle Impulse für eine geistige Ausrichtung in meiner Yogapraxis - und "off the mat".

UNIT Yoga-Gründerin Romana Lorenz-Zapf ist für ihre Liebe zum Yogasutra bekannt und schreibt über ihre persönlichen Yoga-Erfahrungen auf ihrem Blog. Deshalb habe ich die Yogalehrerin hierzu befragt.

Doris Iding: Seit wann spielt das Yogasutra für Dich persönlich eine wichtige Rolle?
Romana: Das ist eine gute Frage. Ich beschäftige mich seit ungefähr 10 Jahren mit dem Yoga Sutra, anfangs weniger intensiv, mit der Zeit dringe ich immer tiefer in diese Schrift ein. Das ist wie eine Zwiebel, die man schält. Zu Beginn liest man die Sutras eher oberflächlich und mit jedem Studium bekommt man ein tieferes Verständnis für die einzelnen Verse.

Doris Iding: Gab es ein Schlüsselerlebnis? Einem Moment, wo es „klick“ gemacht hat und Du realisiert hast, dass die Jahrtausendalte Philosophie auch heute noch brandaktuell ist?!
Romana: Ja und nein.Einerseits habe ich sofort realisiert, hey... die Leute von damals hatten die gleichen Probleme wie wir. Gerade in Bezug auf die Vrittis, die Bewegungen des Citta (des meinden Selbst) oder die Hindernisse (klesa), die heute noch bei jedem von uns vorhanden sind und die Kräfte, die in jedem von uns wirken und uns vom Weg des Yoga abbringen können. Aber auch der Weg des Yoga selbst und die einzelnen Schritte, die zu gehen sind, sind unverändert geblieben.
Andererseits war und ist es noch ein schrittweiser Prozess, denn wie ich sagte, erschließt sich das Sutra nicht sofort als Ganzes. Es gibt Sutras, die hast Du 1000x gelesen und es irgendwie auch intellektuell verstanden, aber dann kommt aber plötzlich ein Moment, da liest Du es 1001x und es eröffnet sich Dir plötzlich eine ganz tiefe Erkenntnis, die Du vorher in der Form nicht hattest. Diese Erkenntnis kommt aus der Tiefe Deines Herzens, weder als  etwas, dass Du intellektuell beschreiben könntest, noch jemanden vermitteln, sondern vielmehr ein Gefühl, dass gerade in Bezug auf die Umsetzung im Alltag ganz automatisch die „richtige“ Handlung und damit das „Leben“ des Yoga Sutra hervorbringt. Nicht aus dem Kopf heraus, sondern aus dem Herzen.

Als Beispiel: Du meckerst unbewusst immer an Dir selbst herum, du schaust in den Spiegel und denkst immer, wie Dick Du bist oder wo Du nicht „in Ordnung“ bist. Du liest das Sutra, und verstehst intellektuell, dass es keinen Sinn macht, an Dir herumzumeckern, denn die Wahrnehmung eines jeden Menschen ist so unterschiedlich. Dein Mann hat Dir vielleicht gerade noch gesagt, dass Du toll aussiehst, und obwohl Du Dich gefreut hast, hast Du selbst nicht daran geglaubt. Und hörst Du deshalb auf, an Dir herumzumeckern? Nein, beim nächsten Blick in den Spiegel, urteilst Du wieder über Dich „oh gott, sehe ich müde aus“ oder „Man, ich werde alt“. Und irgendwann liest Du wieder im Sutra Du wirst Dir plötzlich bewusst, dass Du an Dir herummeckerst und auch darüber klar, was es für eine Wirkung auf Dich hat. Es eröffnet sich eine ganz andere Sichtweise auf das Sutra, was es aussagt und dass Bewusstheit der erste Schritt ist. Du hörst vielleicht nicht sofort damit auf, an Dir herum zu meckern aber Du bemerkst es immer öfter. Es findet ein Wandel statt, der sich langsam vollzieht. Du beginnst in kleinen Dingen positives in Dir selbst zu sehen. Und Du spürst plötzlich ein tiefes Mitgefühl anderen gegenüber, weil Du fühlst, dass es allen Menschen so geht. Jeder Mensch kämpft in der Tiefe seines Herzens mit den Unebenheiten in sich selbst.

Und der Weg ist hier nicht pramada, die „Arroganz“, Patanjali nennt dies als ein Hindernis, mit dem man sich über andere als „besser sein“ erhebt, sondern vielmehr durch Yoga und die Bewusstheit, wieder zu sich selbst zu finden und damit mit allen Menschen als gleichwertig zu betrachten. 

Doris Iding: Gehen wir doch ein bisschen ins Detail: Satya – Ehrlichkeit. Ist eines der zentralen Yamas. Welche Rolle spielt dieser Aspekt für Dich persönlich?
Romana: Ja ja ... Satya ist wohl eines der „schwierigsten“ Yamas, denn was ist schwieriger als die Ehrlichkeit mit sich selbst? Was ist schwieriger, als sich selbst einzugestehen, dass man sich selbst und damit auch andere betrügt? Für mich ist die größte Herausforderung ehrlich zu sein, dabei aber andere nicht zu verletzen. Wir Menschen finden immer Mittel und Wege etwas vor uns selbst zu Rechtfertigen, auch wenn wir eigentlich wissen, dass es nicht in Ordnung ist. Ein Beispiel ist das Urteilen über Andere. Das hat sicher erstmal nichts mit Satya, sondern eher mit Ahimsa, der Gewaltlosigkeit zu tun. Aber schlussendlich spielen diese Yamas hier zusammen. Denn ich muss ehrlich zu mir sein, um zu erkennen, dass ich über andere Urteile.

Ich habe in der Vergangenheit viele Fehler gemacht und Menschen verletzt aus einem falschen Verständnis von Ehrlichkeit. Ich habe es damals oft damit für mich gerechtfertigt, dass die andere Person sich auch nicht richtig verhalten hat.

Was ich aus der Yoga-Philosophie gelernt habe ist, dass es immer die eigene Wahrnehmung ist, die man darstellt. In allem, was man sagt und auch nach außen trägt, ist es nur eine mögliche Betrachtungsweise. Und gerade wenn 2 Menschen auf eine Situation schauen, schaut einer von rechts und der einer von links. Wer sieht nun die Wahrheit? Im Grunde sehen beide die eigene Wahrheit und beide haben von Ihrer Sichtweise aus „Recht“.

Die Lösung ist hier im Satya aber auch im Ahimsa zu finden.
  1. Ehrlich mit sich selbst zu sein und zu erkennen, dass man Urteilt und dieses Urteilen auch vor sich selbst rechtfertigt.
  2. Ehrlich mit sich selbst zu sein und sich dafür zu öffnen, dass der Andere eine andere Sichtweise hat und von seiner Sichtweise aus auch „Recht“ hat, auch wenn man es anders sieht.
  3. Ehrlich zu beobachten, wann immer das Urteilen einsetzt.
  4. Einen ehrlichen Weg der Kommunikation zu finden, ohne Urteilen und emotionales Strafen. Der beste Weg ist davon zu sprechen, wie man sich fühlt, nicht was der andere getan hat.
  5. Das „Urteilen“ nicht nach Aussen zu tragen. Aber damit sind wir schon wieder in einem anderen Bereich des Yoga – Sutra.   
Doris Iding: Gibt es auch Momente, wo Du lieber nicht ehrlich bist?
Romana: Hier wäre erstmal die Frage, was überhaupt Ehrlichkeit bedeutet? Wenn ich z.B. einen Streit mit meiner Tochter habe, liegen mir manchmal „ehrliche“ Worte auf den Lippen, die ich mir verkneife, weil ich weiß, dass ich sie damit verletzten würde. Und weil ich weiß, dass diese Gedanken aus den Erlebnissen meiner eigenen Kindheit entspringen. Dinge, die die Eltern immer in bestimmten Situationen gesagt haben und von denen wir als Kind immer sagten: „Das werde ich als Erwachsener niemals sagen“. Hier bin ich oftmals lieber nicht ehrlich.

Deshalb die Frage, was ist Ehrlichkeit? Und auch dieses Wort ist für jeden von uns ganz unterschiedlich belegt. Für viele ist Ehrlichkeit, dass zu sagen, was man denkt. Aber im Yoga lernen wir, dass nicht alles was wir denken, wirklich das ist, wer wir tatsächlich sind. Geben wir also wirklich ehrlich das wieder, wer wir sind und was wir denken oder wiederholen wir nur das, was wir durch unsere Eltern und Lehrer gelernt haben?

Hier muss man in erster Linie wieder bei sich selbst schauen, sich in erster Linie selbst hinterfragen und mit sich Ehrlich sein, bevor man zu anderen Ehrlich ist.

Doris Iding: Du bildest Yogalehrer aus. Wie ehrlich sollte ein Yogalehrer deiner Ansicht nach sein? Sollte er offen über seine Schwächen und Schattenseiten sprechen, seine Grenzen offenzugeben? Oder läuft der dann Gefahr, dass er das Idealbild des Lehrers nicht erfüllt?
Romana: Ein Lehrer kann meiner Meinung nach nur ein guter Lehrer sein, wenn er absolut authentisch ist. Und jeder Lehrer hat eine Gabe, unabhängig seiner Schwächen und Schattenseiten. Nur wenn er sich in allen Facetten zeigt, kommen auch die Schüler, die genau das suchen und brauchen, was der Lehrer geben kann.

Wenn Du einen Bandscheibenvorfall hattest und diesen durch Yoga geheilt hast, wird Du allen Menschen helfen können, die mit einem Bandscheibenvorfall zu Dir kommen. Wenn Du eine Übung nicht konntest und diese Schritt für Schritt gelernt hast, wirst Du sie anderen beibringen können. Wenn Du nicht atmen konntest und durch Yoga gelernt hast, wie der Atem Prana durch Deinen Körper bewegt, wirst Du es deinen Teilnehmer zeigen können und auch wissen, wie sich fühlen, wenn sie es nicht können und dadurch die richtigen Worte finden.
Wenn Du eine Übung niemals können wirst und die Demut und Akzeptanz gelernt hast, damit in Gelassenheit umzugehen, wirst Du genau diese Qualität an andere weitergeben können, eben weil Du auch die andere Seite kennst.

Darum ja, genau unsere Schwachstellen sind es, die uns zu guten Yogalehrern machen. Es macht nicht das Wissen im Intellekt den Lehrer aus, sondern die Erfahrung und die daraus resultierende Weisheit. Und die Weisheit findet sich nicht im Intellekt, sondern im Herzen.

Und wenn sich da der Wunsch findet, den Menschen zu helfen bist Du als Yogalehrer absolut richtig.

Doris Iding: Wie offen sollte ein Yogalehrer mit den Schwächen und Grenzen seiner Schüler umgehen?
Romana: Im Grunde gibt es für mich im Yoga keine „Schwächen“, sondern ich spreche lieber von Dysbalancen. Ich habe kein klares Bild davon, wie eine Asana aussehen muss oder ein Schüler sich bewegen sollte, sondern ich schaue mir den Körper an und betrachte diesen in Hinblick auf seine Gesamtheit und die Balance darin. Nicht nur innerhalb des Körpers, sondern die auch die Einheit aus Atem, Konzentration, Bewegung spielt eine große Rolle. Dann versuche ich im Unterricht dafür zu sorgen, dass der Schüler seine Balance findet.

Merke ich als Lehrer, dass der Schüler an einem bestimmten Punkt Schwierigkeiten hat, also die Balance nicht da ist, versuche ich ihn zu unterstützen, an diesem Punkt weiterzukommen und damit in die Balance zu finden. Manchmal ist hier etwas Motivation nötig, denn wenn die Dysbalance in der Trägheit liegt, braucht es einen „Schubbser“. Manchmal auch liebevolle Nachsicht, denn manchmal „hört“ der Schüler nicht alles, was man sagt. Und manchmal muss ich zu enthusiastische Schüler bremsen, wenn ich sehe, dass sie im Ehrgeiz unterwegs sind. 

Ich kann das jedoch nur, wenn ich weiß, wie der Schüler sich fühlt und da ich selbst viele dieser Wege gegangen bin, kann ich das erkennen und auch die richtige Ansprache finden. Wenn ich nicht nachvollziehen kann, warum der Schüler Schwierigkeiten in bestimmten hat, kann ich ihm nicht helfen und ihn nur an einen Kollegen weiterleiten.

Doris Iding: Wie wichtig ist die Ehrlichkeit unter Yogalehrerkollegen? Wird sie hier gewünscht? Machst du deine Kollegen darauf aufmerksam, wenn Du einen inhaltlichen Fehler siehst oder das Gefühl hast, dass sie einen blinden Fleck haben und nicht sehen, was sie da tun?
Romana: Jeder Lehrer und jede Yoga-Richtung hat einen anderen Ansatz, schaut aus einer anderen Blickrichtung. Somit könnte für einen Yogi aus einer bestimmten Tradition – nehmen wir Iyengar – inhaltlich etwas Falsch sein, was für einen Yogi aus dem Anusara, absolut korrekt ist. Fragt man beide, können beide von Ihrer Sichtweise aus sicher gut argumentieren, warum sie so unterrichten und nicht anders. Deshalb beobachte und beurteile ich niemals einen Lehrer, wenn ich nicht darum gebeten werde. Wenn mich allerdings jemand bittet ihn zu beobachten und Feedback zu geben, werde ich hierzu selbstverständlich ehrlich im Hinblick auf das aus meiner Tradition gelernten heraus antworten. 

Wenn Feedback erwünscht ist, bin ich ehrlich und weise auf Dinge hin. Beobachten und beurteilen, ohne darum gebeten worden zu sein – absolut nein. Würde mir durch Zufall etwas auffallen, was ich nicht verstehe, weil ich es anders mache, würde ich eher nach dem Grund fragen und es besser zu verstehen und dann eher die Unterschiede zu meinem Ansatz überprüfen.

Ich glaube nicht, dass es Yogalehrer gibt, die nicht wissen oder sehen was sie tun. Jeder Lehrer weiß genau, warum er etwas macht oder nicht. Von daher würde es eher als Austausch betrachten. Warum machst Du das so? Ah Interessant, mein Ansatz ist folgender.... Man kann viel lernen, wenn man Fragt

Doris Iding: Würdest Du dir gerne mehr Ehrlichkeit von Seiten deiner Kollegen wünschen?
Romana: Hätte ich den Wunsch nach mehr Ehrlichkeit, wäre es nur meine Vorstellung von Ehrlichkeit und das wäre nicht stimmig. Ich glaube, dass jeder Mensch im Herzen ehrlich sein möchte, und auch hinter Unehrlichkeit steckt oft etwas, z.B. der Wunsch nicht zu verletzen oder die Angst vor den Konsequenzen.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es mehr Offenheit. Mehr Offenheit für die Ansätze und Arbeitsweisen der verschiedenen Yoga-Richtungen, mehr Zusammenarbeit zwischen den Yoga-Schulen, mehr Verständnis dafür, dass alle Yogalehrer an einem Ziel zusammen arbeiten, nämlich den Menschen zu mehr Bewusstheit zu verhelfen und damit schlussendlich zu einer bewussteren Welt zu führen. Daran sind nicht nur wir Yogalehrer, sondern viele andere Menschen in anderen Berufsgruppen auch beteiligt, jeder auf seine Weise. Ob ich dafür meine Spirale nach rechts, links oder hinten ziehe ist dabei interessant, aber nicht entscheidend. Jeder Weg führt zum Ziel.

Diese Einheit zu erkennen ist unser Ziel, denn damit löst sich alle Konkurrenz, alle Beurteilung anderer Menschen, alles Werten in die eine oder andere Richtung und auch alle Trennung auf.

Und schlussendlich gibt es nur einen Weg und Pattabhi Jois hat hier eine gute Vorlage gegeben: Practice, Practice, Practice... do Yoga and the people will come. Und ich sage hierzu: Do Yoga... and everything will fall into place!


Vielen Dank für das Interview
It was my pleasure

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